Das führt zu Neurosen, Psychosen und Paranoia

Ich versuche das sogenannte normale menschliche Verhalten zu untersuchen. Viele Ärzte vor mir haben  diese Untersuchung bereits gemacht und sind zum Schluss gekommen, dass die Normalität nur eine Frage des Konsenses ist. Oder besser gesagt, wenn viele Menschen glauben, dass etwas richtig ist, dann wird es richtig.

Es gibt Dinge, die vom gesunden Menschenverstand bestimmt werden:
Dass man die Knöpfe an einem Hemd vorn anbringt, ist eine Frage der Logik, denn es wäre sehr viel schwieriger, es seitlich oder gar auf dem Rücken zuzuknöpfen.
Andere Dinge jedoch setzen sich durch, weil immer mehr Menschen glauben, sie müssten so sein.

Ich werde dir zwei Beispiele nennen:
Hast du dich jemals gefragt, warum die Buchstaben auf den Tasten einer Schreibmaschine in der bekannten Ordnung verteilt werden?
Wir könnten die Tastatur QWERTZ nennen, denn die Buchstaben in der ersten Reihe sind so angeordnet. Die erste Maschine wurde 1873 on Christopher Scholes erfunden, damit die Leute schöner schreiben konnten, doch dabei gab es ein Problem. Wenn man sehr schnell auf der Maschine schrieb, verhedderten sich die Typen und blockierten die Maschine. Da entwarf Scholes die QWERTZ-Tastatur, welche die Schreiber dazu zwang, langsam zu schreiben. Die Firma Remington, die damals Nähmaschinen produzierte, benutzte die QWERTZ-Tastatur für die ersten Schreibmaschinen. Wollten die Leute mit der Maschine schreiben, mussten sie sich an dieses System gewöhnen. Als später andere Firmen Maschinen mit dieser Tastatur herstellten, wurde sie zur Normtastatur.
Ich wiederhole: Die Tastatur der Maschinen und Computer wurde entworfen, damit man langsamer schrieb und nicht schneller, verstehst du? Versuch einmal, die Buchstaben anders anzuordnen, und du wirst keinen Käufer für dein Produkt finden.

In der Kirche Santa Maria del Fiore in Florenz gibt es eine wunderschöne Uhr, die Paolo Uccello 1443 entworfen hat. Allerdings hat es mit dieser Uhr ein besonderes Bewandtnis:
Sie zeigt wie alle anderen Uhren auch die Stunden an, doch ihre Zeiger bewegen sich gegen unseren Uhrzeigersinn.
Dabei wollte Paolo Uccello nicht originell sein, als er diese Uhr schuf. Es gab damals eben solche Uhre und andere, deren Zeiger sich in unserem heutigen Uhrzeugersinn bewegten. Aus einem unbekannten Grund, möglicherweise, weil der Herzog eine Uhr besaß, deren Zeiger sich nach rechts bewegten, wie bei unseren heutigen Uhren, hat diese sich durchgesetzt, und Uccellos Uhr wurde zu einer Abweichung, einer Verrücktheit.

Jeder Mensch ist einmalig und einzigartig, mit seinen Eigenschaften, Trieben, Begierden und Abenteuern.
Doch die Gesellschaft zwingt ihm ein kollektives Verhaltensmuster auf, und die Menschen fragen sich immer wieder, wieso sie sich so und nicht anders verhalten sollen.
Doch letztlich nehmen sie es genauso hin wie die Daktylographen die QWERTZ-Tastatur.
Ist dir jemals jemand begegnet, der dich gefragt hätte, warum die Uhrzeiger sich in die eine und nicht in die andere Richtung bewegen?
Du würdest jemanden, der dich das fragt, womöglich für verrückt halten, ihn mit irgendeiner Antwort abspeisen und anschließend das Thema wechseln.

Du bist jemand, der anders ist und den anderen gleichen möchte. Das ist meiner Meinung nach eine schwere Krankheit.
Ist es schlimm, anders zu sein? Es ist schlimm, sich zu zwingen, wie die anderen zu sein. Das führt zu Neurosen, Psychosen und Paranoia. Es ist schlimm, wie die anderen sein zu wollen, weil das bedeutet, der Natur Gewalt anzutun, den Gesetzen Gottes zuwiderzuhandeln, der in allen Wäldern der Welt kein Blatt geschaffen hat, das dem anderen gleicht.
Doch einige finden, dass es Wahnsinn ist, anders zu sein, und haben deshalb eine Psychiatrie ausgesucht, um zu leben. Weil dort alle anders sind und sie daher so sind wie die anderen. Das ist der Unterschied zwischen denen, die in Behandlung sind und denen, die sich für normal halten.

Weil sie nicht den Mut oder das Selbstvertrauen haben, anders zu sein, handeln Menschen gegen ihre Natur, und der Körper beginnt Bitterkeit zu produzieren.

Die Jahre nach meiner Ausbildung, die beiden Jahre während meiner Tätigkeit in der Psychiatrie, habe ich mich gefragt, wo meine Seele geblieben ist. In meiner Vergangenheit.
In der Vorstellung von dem, was ich als mein Leben ansah. Meine Seele war in dem Augenblick gefangen, als ich eine Wohnung, eine Freundin, eine Anstellung hatte, von der ich mich befreien wollte, jedoch noch nicht den Mut hatte, es zu tun. Meine Seele befand sich in der Vergangenheit, doch heute ist sie hier angelangt, und ich fühle sie wieder voller Begeisterung in meinem Körper.

Was ich nun tun möchte? Irgendwohin gehen und Menschen helfen.

– nach Paulo Coelho

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